Familien Feste Krisen – hoffnungsvoll leben!
Predigt von Bischof Hermann Glettler zum Abschluss vom Europäischen Familienkongress der
Schönstattbewegung, 1. Mai 2023, Stephansdom, Wien. Evangelium: Joh 2,1-11
Einleitung: Wir haben heute das hochzeitliche Evangelium von Kana gehört – Jesus, die Jünger und
Maria mittendrin in der Hochzeitsgesellschaft. Dieses Bild steht für die herausragenden Momente
einer ehelichen Beziehung und Familie: Gott ist diskret gegenwärtig, der eigentliche Gastgeber des
Lebens nimmt wie ein Gast daran teil. Gottes Gegenwart macht diesen Ort zum „Heiligtum“. Nichts ist
ihm fremd, er teilt Freude und Leid mit uns. In der Kapelle des Konferenzzentrums am Kahlenberg
habe ich einen Krug mit der Aufschrift „Sie haben keinen Wein mehr!“ entdeckt. Biblisch korrekt und
keineswegs realitätsfremd: Familie hat doch immer mit Festen, Krisen und Neustarts zu tun.
1. Das bunte Fest des Lebens feiern – was sonst?!
Als Geburtstagskuchen habe ich mir zu Hause immer einen zusammengefallenen Rehrücken
gewünscht, wenn möglich schön speckig, sodass er schokoladig wie ein Brownie schmeckt. In aller
Einfachheit des elterlichen Bergbauernhofs wurden Feste gefeiert – sie vermittelten einen Geschmack
am Leben trotz vieler Baustellen und Sorgen. In der Familie ist immer „Aktschn“, um einen
berühmten Steirer zu zitieren, also immer etwas los. Menschen wachsen heran und verändern sich,
Beziehungsnetze vergrößern sich, Zuwachs und Abschiede, Gesundheit und Krankheit – alles im
herrlichen Mix. Neben Schule und Beruf, die meist den familiären Rhythmus vorgeben, kommt nicht
selten ein Pflegebedarf dazu. Von einer Dauerparty kann keine Rede sein.
Bei einer Hochzeitstafel trifft sich meist eine bunte Gesellschaft – mindestens zwei Familien und
mehrere Generationen mit ihren Lebenserfahrungen und unterschiedlichen Überzeugungen. Es ist
nicht garantiert, dass sich alle blendend verstehen. Familie ist bunte Vielfalt – erst recht in den
unterschiedlichsten Konstellationen heutiger Familienverhältnisse. Die Spannung von Einheit und
Vielfalt ist nirgendwo deutlicher erlebbar. Beide Pole sind wichtig. Wo sonst werden
Heranwachsende, aber nicht nur sie damit konfrontiert, dass die individuellen Interessen in ein
gemeinsames Wir eingebettet werden müssen? Die meisten von uns haben zuhause gelernt, sich
„zusammenzuraufen“, sich auf einen Kompromiss zu verständigen. Soziales lernen.
Damit ist die Familie der heute so notwendige, weil heilsame Ort, um mit dem Vertrauten und
Fremden gut umzugehen. Ich behaupte: Pluralitätsfitness lernt man in der Familie. Kinder, Eltern und
Großeltern sind gemeinsam Lernende – gerade in Zeiten galoppierender Kulturbrüche und
Veränderungen. Damit idealisiere ich keine familiäre Gemeinschaft, wo es leider neben dem
hochzeitlichen Moment ja auch das reale Versagen gibt, nicht selten auch Gewalterfahrungen. Aber
das Gute überwiegt, wir müssen es wahrnehmen und davon erzählen. Habt Mut, das Gute zu
benennen. Nichts ist selbstverständlich. Familien sind die wichtigsten Volkschulen der Dankbarkeit –
wer zu danken lernt, nimmt das Leben in seiner Schönheit und Zerbrechlichkeit wahr.
2. Wenn jedoch der Wein ausgeht – was dann?
Sich nicht mehr verstehen, Erschöpfung, zu viele Missverständnisse, angestaute Kränkungen und
Enttäuschungen, nicht mehr kommunizieren können – all das kann sich einschleichen und ist uns
allen vertraut. Meist passiert eine Entfremdung recht leise und schleichend bis zu dem Punkt, wo
man sich nichts mehr zu sagen hat. Ich habe bemerkt, dass es oft schon eine Entlastung sein kann,
nicht von einer „heilen Familie“ zu träumen. Dieser Traum führt meist in eine unnötige Traurigkeit,
weil wir immer hinter berechtigten Erwartungen zurückbleiben. Familie ist ein permanentes
Krisenmanagement. Es passiert früher oder später, dass der Wein ausgeht. Wein steht für die
Festfreude, für alles, was der Feier den besonderen Geschmack gibt. Das Fest ist gelaufen.
Maria, die Mutter Jesu, hat die sich anbahnende „Katastrophe“ als erste bemerkt. Sie ist die
aufmerksam Liebende. Sie hilft uns wahrzunehmen, wo es jemanden nicht gut geht, wo es unrund
läuft. Mit ihr wird die Familie zu einer Schule der solidarischen Aufmerksamkeit. Mit ihrem
mütterlichen Beistand ist es nicht notwendig, die Krise kleinzureden, Probleme zu vertuschen oder
falsche Fassaden zu bemühen. Mit Maria können wir der Wahrheit ins Auge sehen – auch der
Wahrheit des Scheiterns. Ihr aufmerksames Dasein tröstet und hilft uns, die Momente der
Trostlosigkeit auszuhalten. Es gehört zum kostbaren familiären Lernprogramm, miteinander auch
Weinen zu können. Nichts muss in Harmoniesucht beschönigt werden.
„Was er euch sagt, das tut!“ Mit dieser klaren Ansage bewahrt uns Maria vor einigen Fallen in Zeiten
der Krise. Die Falle einer idealistischen Überhöhung habe ich schon benannt. Die Klarheit von Maria
hilft uns, das Leben zu bejahen inklusive der krisenhaften Momente. Die zweite Falle ist jene der
Anklage. Irgendjemand muss doch schuld sein, wenn der Wein ausgeht – wer war für den Einkauf
zuständig? Das familiäre „Service“ hat versagt. Ich wurde in meinen Ansprüchen nicht bedient! Maria
hilft uns, nicht in diese Haltung des unbarmherzigen Verurteilens zu rutschen. Ebenso hilft sie uns,
nicht in die Falle der Fatalität zu tappen, die uns einredet, dass ohnehin alles nur mehr katastrophal
enden wird – ein Defizit und Versagen jagt das andere, die Apokalypse lässt grüßen. Nein!
3. Alles kann zum Guten verwandelt werden – auch in der Familie?
Jesus gibt unaufgeregt die Anweisung: „Füllt die Krüge mit Wasser!“ Ein klarer Auftrag, wenn auch
nicht leicht – sechs Mal hundert Liter! Wir alle können das einfache Wasser in die Krüge füllen, die für
die sechs Wochentage stehen: Das Wasser der Zuhörbereitschaft und des ruhigen Nachdenkens, das
Wasser einer kritischen Selbsteinschätzung und des Verzichts auf verletzende Worte, das Wasser
einer bewussten Zeit für Begegnung und das Wasser der Geduld, weil Wachstum Zeit braucht. All das
ist noch kein Wein, aber Jesus verlangt nicht mehr – nur unsere Bereitschaft, wie „verwässert“ auch
immer. Im Schönstatt Zentrum gibt es seit 1983 den Brauch, diese persönliche Bereitschaft zu
formulieren und Maria zu übergeben. Einfach schön, am Wunder der Erneuerung mitzuwirken!
Dennoch: Noch so fromme Worte reichen nicht aus. Familie ist kein Wunschkonzert. Wir alle kennen
familiäres Totalversagen, wenn Geborgenheit und Vertrauen verloren sind. Umso wichtiger ist es, das
Wasser bereitzustellen – vor allem auch stellvertretend für viele, die das Geheimnis der Verwandlung
nicht kennen. Der diskret gegenwärtige Gott des Lebens hat immer noch mehr Möglichkeiten, als wir
vermuten. Das Wunder von Kana ereignete sich nicht zufällig am „dritten Tag“. Es ist eine Erfahrung
von Auferstehung. Der lebendige Christus kann Alles verwandeln! Dieser österliche Glaube macht
unsere Familien zu „Heiligtümern der Hoffnung“: Wenn wir einander vergeben, uns aussprechen und
von Neuem umarmen, werden Familien zu Kraftwerken von Zuversicht und Zukunftsmut.
Es gibt keine ausweglose Situation, wenn wir auf Maria, die solidarisch Liebende achten und uns mit
ihr verbünden – wir alle, die wir so oft „danebenstehen“. Wir gleichen den Dienern, die gemäß der
biblischen Erzählung an der Seite standen und mit großer Anstrengung das Wasser bereit gestellt
haben. Sie wussten, „woher der neue Wein kam“. Das war ihr Privileg. Ist das nicht wunderschön? Wir
können unseren Beitrag leisten und müssen nicht im Mittelpunkt stehen. Ja, es wäre sogar fatal,
wenn wir uns selbst mit Begleitung, Beratung und Seelsorge in die Mitte drängen würden – die
jungen Paare und Familien von heute wollen ihren eigenen Weg, ihren eigenen Rhythmus finden. Wir
stehen zuversichtlich daneben – dankbar, dass Gott Alles zum Guten wandeln kann.
(Dank an Bischof Hermann für die Zurverfügungstellung des Predigttextes.)
Beitragsbilder: (v.l.n.r: Anna Maria Kraetschmer von IEF-KANA, Familienbischof Hermann Glettler, Ingeborg Sickinger – Fotos: Kräftner)